Den unterschiedlichen historischen Beeinflussungen in 125 Jahren gymnasialer Bildung in Werdau widmet sich die von Geschichtslehrer Werner Seifert verfasste Schulchronik. Diese historische Zusammenstellung aller wichtigen Ereignisse an den Vorläufern des heutigen Gymnasiums ist während der Festwoche in gedruckter Form erhältlich. Einige Auszüge daraus verdeutlichen die verschiedenen Ansprüche an gymnasiale Bildung: "Dass der Sedanstag (Ort der Kapitulation der französischen Truppen 1870 gegenüber den deutschen) in Werdau jährlich ebenso feierlich begangen wurde wie der Kaisergeburtstag, versteht sich fast von selbst. 1914 wurde so auch der Kriegsbeginn gefeiert. Obwohl der Unterricht stark litt, von Beginn an drei Lehrer einberufen wurden und das Ministerium im Zuge der körperlichen Ertüchtigung Übungsmärsche (im Sommer zwei, im Winter einen pro Woche) anordnete, wurden all diese Einschränkungen durch nationales Pathos übertüncht. Mit Gott für Kaiser und Vaterland zogen auch die Werdauer Realschüler ins große Menschenschlachten."
"Verschärft fand eine ähnliche Debatte 1931 statt, in die sich das "Sächsische Volksblatt" eingeschaltet hatte. Anlass waren die Schulbibliothek und an der Schule eingesetzte Schulgebete. In der Schülerbücherei waren Bücher vertreten, wie das von Kapitänleutnant a.D. Manfred von Killinger: "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben". In diesen Memoiren eines Kapp-Putschisten (Kapp u.a. versuchten 1920 die Republik durch einen Militärputsch zu stürzen) und Führers einer Femetruppe rühmt dieser sich, einen Bolschewisten ermordet zu haben. Eben dieses Buch empfahl der für die Schülerbücherei zuständige Lehrer, der zugleich Vorsitzender der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) Werdaus und Mitglied des Stahlhelms war, seinen Schülern. Gleichzeitig bezeichnete er Remarques Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" als "großen Schund". Bezeichnend für den Geist der Schule war, dass nach dieser Kritik in der Öffentlichkeit das Buch Killingers auf Beschluss der Lehrerversammlung aus der Schülerbücherei in die Lehrerbücherei übernommen wurde."
"Dass die EOS aber in erster Linie eine sozialistische Weltanschauung zu vertreten und künftige Kader eines "Arbeiter- und Bauernstaates" zu erziehen hatte, wurde im Schulalltag immer wieder deutlich. Die Lehrpläne, insbesondere in Staatsbürgerkunde und Geschichte, orientierten auf die führende Rolle der SED, Parteitagsbeschlüsse wurden wie Bibelstellen zitiert und jeder Ansatz kritischen Infragestellens vorgegebener Dogmen inquisitorisch verfolgt. Dabei standen oft formale Äußerlichkeiten im Vordergrund, deren Bedeutung wohl nur erfassen kann, wer den Sitz der SED-Kreisleitung für die Burg der heiligen Gralsritter hielt. Jeans galten den "Hütern der reinen Lehre" als Ausdruck imperialistischer Grundhaltung und männliche Träger langer Haare wurden in den 60er Jahren zum Frisör geschickt. Das geschah in Werdau vereinzelt sogar in der Form, dass ein speziell dafür bekannter Lehrer den Betroffenen aus eigener Tasche das erforderliche Geld in die Hand drückte. (Was für eine Möglichkeit wäre das heute, das Taschengeld aufzubessern!)"
Quelle: Text: Werner Seifert, "Chronik des Gymnasiums 'Alexander von Humboldt' Werdau", Frühjahr 2000 Textauswahl: Marcus Machat, September 2000 Historische Bilder: Postkartensammlung R. Gebhard, Fraureuth